OB-Neujahrsgruß

Weihnachtsgruß
des Oberbürgermeisters der Stadt Weimar,
Dr. Volkhardt Germer, zu Weihnachten 2005

Liebe Weimarerinnen und Weimarer:

Vielleicht ist Heinrich Heine nicht gerade der erste Name, der Ihnen einfällt, wenn Sie an Weihnachten in Weimar denken. Heinrich Heine, der Spötter, der Melancholiker – was hat dieser widerspenstige deutsche Dichter mit dem Weihnachtsfest zu tun? Aber vielleicht lesen Sie einfach noch mal mit mir hinein, in Heines berühmte Verse aus der Vorweihnachtszeit:

„Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann, sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.“

Ja, ist dieses anrührende, friedliche und zugleich etwas aufsässige Gedichte etwa kein Weihnachtsgedicht?

„Zuckererbsen für jedermann“, liebe Weimarerinnen und Weimarer: Das wär’ wohl was. Es wäre der Himmel auf Erden, Weihnachten hier und jetzt. Es wäre wohl auch jener „Weihnachtsbaum für alle“, den wir hier in Weimar jedes Jahr neu begehen: Als eine Erinnerung an den Buchhändler Hoffmann aus der Goethe- und Heine-Zeit und an sein großes Herz für die ärmeren Weimarer Kinder. Denn dieser „Christbaum für alle“, der in Weimar zum ersten Mal Idee und Realität wurde, ist nichts weniger als die Erinnerung an eine dauerhafte Utopie: Die Hoffnung auf ein fröhliches und harmonisches Weihnachtsfest für einen Jeden von uns.

250.000 Menschen, so lauten die Schätzungen der Hilfsorganisationen, 250.000 Erdbebenopfer in Pakistan sind in diesem Winter in Lebensgefahr. Der Winter ist da und noch immer fehlen viele Hilfsmittel, um über die kalte Zeit zu kommen: Unterkünfte, warme Kleidung, Nahrungsmittel. In den Nachrichtensendungen sehen wir die Hilfskräfte, die längst im Schichtdienst rund um die Uhr arbeiten. Und Briefe kommen nach Weimar, Briefe, die zwischen Dankbarkeit und Resignation schwanken: „Vielen Dank“, schreibt unsere pakistanische Menschenrechtspreisträgerin Shanaz Bokhary, „wir haben das Geld gerade noch rechtzeitig bekommen!“. Sie bedankt sich damit für jene 5.000 Euro, die in diesen Vorweihnachtstagen bei ihr ankamen und die Not von 24 Frauen und ihren Kindern ein wenig linderten – mit Bettdecken, Schultaschen und Medikamenten. Und Shanaz Bokhari schreibt weiter: „Dies wäre außerhalb unserer Möglichkeiten gewesen, wenn wir nicht Eure Hilfe bekommen hätten! Könnt Ihr uns vielleicht auch noch helfen, Kontakt mit Organisationen herzustellen, die Prothesen haben ... für  Frauen und Kinder, denen Gliedmaßen amputiert wurden?“

So also klingen sie, die Briefe aus den Katastrophengebieten: Dankbar und fast verzweifelt. Denn das, was dort in Pakistan noch zu tun wäre, ist wohl grenzenlos. Es werden also auch in diesen Weihnachtstagen in Weimar wieder Bilder zu sehen sein, die von Leid und Elend statt von „Zuckererbsen für jedermann“ berichten: Bilder, die viele von uns einmal mehr zum Schenken, zum Spenden animieren.

Wie groß die Bereitschaft dazu in Weimar ist, das aber haben wir alle voneinander gerade in diesem Jahr wieder mit Staunen und großer Freude erlebt. Ob es der Restpfennig für die Erdbebenopfer ist, ob es die Unterstützung von Frauen in den tschetschenischen Dörfern ist oder ob es die stetig fließenden Erlöse von „Weimar hilft“ für die Tsunami-Region sind: Es ist immer wieder neu verblüffend, mit wie viel Selbstverständlichkeit, aber auch mit wie viel karitativer Kreativität die Menschen in Weimar auf diese Katastrophen am anderen Ende der Welt reagieren. Gerade in diesen Tagen sind zwei Weimarer für ihre kluge Spendenaktion „Weimar handelt“ vom MDR zu den „Thüringern des Monats“ erklärt worden. Darauf können wir auch gemeinsam darauf stolz sein: Weimar ist seinem Ruf als „Weltdorf“ in diesem Jahr auf eine ganz besondere Weise gerecht geworden. Globales Mitgefühl und lokales Handeln gehören hier genauso zusammen wie die „Zuckererbsen“ auf Erden und „die Engel und Spatzen im Himmel“ in Heinrich Heines Gedicht zur Vorweihnachtszeit.

Doch es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass wir darüber die Armen am eigenen Ort nicht vergessen haben: Der Christbaum ist für alle da! Dieses Weimarer Motto zeigte auch in diesem Jahr wieder hier vor Ort seine gnadenreiche Wirkung: Von der Weimarer Tafel bis in die ärmeren Familien in dieser Stadt reicht diese Wirkung des „Christbaums für alle“ – auf einem Weihnachtsmarkt, der übrigens auch kulturhistorisch wieder für bundesweite Aufmerksamkeit sorgt.

Liebe Weimarerinnen und Weimarer, der Dank, der aus nah und fern immer wieder bei mir eintrifft, sollte an dieser Stelle einfach einmal an Sie weitergegeben werden. Sie wissen, dass sie mit Ihrer Großherzigkeit zugleich auch unsere ganze Stadt in ein gutes Licht rücken: Der Ruf Weimars als eine weltoffene und freundliche Stadt ist Ihnen allen geschuldet. Denn die Weimarer sind eine freigiebige Gemeinde.

Lassen Sie uns deshalb die kommenden Tage fröhlich und dankbar begehen, wo immer Sie Ihre Weihnachts- und Neujahrstage auch verleben. Ich wünsche Ihnen von Herzen „Rosen, Myrten, Schönheit und Lust“ und eine geruhsame und innige Zeit mit ihren Nächsten.

 

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